1. Das Nicht-Statut der Bewegung
Festzuhalten ist, dass es einen klaren Regel-Katalog nicht gibt. Einige Richtlinien dazu sind aber durchaus bemerkenswert!
(1) Der Movimento ist in erster Linie ein Beratungs- wie auch ein Diskursforum. Er ist eine Art Franchise-Unternehmen, das an interessierte Bürgerlisten die Fünf Sterne verleiht, wenn für die M5S-Bewegung (Franchisegeber) die Voraussetzungen stimmen.
Meines Wissens ist dies die erste Franchise-Partei!
(2) Nur italienische Staatsbürger können Mitglieder werden. Es wird aber kein Mitgliedsbeitrag eingehoben!
(3) Spenden werden nur von natürlichen Personen mit der Höchstgrenze bis zu € 50.000,– angenommen. Keine Stückelung!
(4) Politik darf kein Beruf werden, sondern sollte eine Ehre sein. Man dient der „res publica“! Begrenzung des Mandates auf zwei Legislaturperioden und nur die Hälfte der Bezüge dürfen angenommen werden.
(5) Eine Rückerstattung der Wahlkampfkosten wird strikte abgelehnt.
(6) Online werden drei Gruppen mit verschiedenen Berechtigungen unterschieden:
a. Allgemeine Web-User
b. Authentifizierte Mitglieder
c. Aktivisten
(7) Online Abstimmungen können täglich und über alles – durchaus regional eingeschränkt – durchgeführt werden.
(8) Abweichlern wird wie bei anderen Franchise-Gebern auch, wie z.B. bei McDonalds, die Erlaubnis zur Führung des Firmenlogos – in diesem Fall den M5S zu führen – entzogen.
(9) Über die M5S-Bürgermeisterin von Rom wird gemunkelt, dass eine Pönale-Zahlung von mehreren hunderttausend Euro fällig wird, wenn es zu ernsten Differenzen mit der Zentrale kommt. Grundsätzlich aber mischt sich Grillo in kommunale Probleme nicht ein. Die Kommunalpolitiker der M5S dürfen auch nur zu Problemen in ihrer Stadt Stellung beziehen.
2. Grundsätze der Bewegung und Vorschläge
Dieses Potpourri von Grundsätzen, Vorschlägen und Forderungen wurde weitgehend dem Buch von Beppe Grillo, 5 Sterne über Demokratie, Italien und die Zukunft Italiens, J.G. Cotta`sche Buchhandlung, Stuttgart 2013, entnommen.
Mit politischen Programmen hat es der Movimento nicht so, diese sind ja letztlich beliebig veränderbar und eigentlich interessiert sich doch niemand wirklich dafür!
2A. Allgemeine Grundsätze
(1) Der Movimento 5S kennt keinen offiziellen Führer oder auch Parteivorsitzenden, keine hierarchischen Ebenen mit Parteiführung, Landes- und Bezirksorganisationen, Parteitage usw. wie es bei den Parteien repräsentativer Demokratien üblich ist.
(2) Angestrebt wird eine organisierte Unordnung. Jede( r ) kann sich den sozialen und politischen Raum erobern, solange sie/er nicht die Sphäre des Anderen verletzt.
(3) Man muss nur den Mut haben, mit den gängigen Konventionen und Gemeinplätzen (beispielsweise mit der politischen Correctness und vielem anderen mehr) unserer Zeit zu brechen.
(4) Ausschließliche Ausrichtung auf Direktdemokratie mit Direktwahl und Volksabstimmungen. Ablehnung der repräsentativen Demokratie!
(5) Im Parlament der Zukunft sind die politischen Parteien nicht mehr vertreten, sondern nur mehr Komitees.
(6) Das Engagement des Einzelnen ist gefragt, man wählt nicht nur, sondern bringt sich in die Bewegung ein.
(7) Die unteren sozialen Ebenen in einer Stadt bzw. Region müssen sich direkt finden und sich auch politisch entwickeln. Danach werden dann die oberen Instanzen wie die repräsentativen politischen Parteien überflüssig.
(8) Es gibt keine Ausgrenzungen, sehr wohl aber Abgrenzungen. Keine Allianzen mit den etablierten politischen Parteien!
(9) Man muss selbst als politischer Mandatar in Bezug auf Einkommen und politischer Moral mit gutem Beispiel vorangehen. Erst danach kann man die Gesetze ändern!
(10) Zum Abschluss drei Schlagworte, die immer wieder aufs Neue mit Leben erfüllt werden müssen:
a. Gegen Korruption in allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens– von der Korruption im Alltag bis hin zu den großen Skandalen in der Wirtschaft.
b. Für ein bürgerliches Engagement
c. Für bürgerliche Tugenden
2B. Vorschläge
a. Wirtschaft, Infrastruktur, Bauten und Energie
(1) Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMUs)
(2) Reduktion der indirekten Steuern und Verringerung der Steuerlast allgemein
(3) Abschaffung der Gewerbesteuern
(4) Strengere Antikorruptionsgesetze
(5) Abbau der Lohnnebenkosten
(6) Recycling und Mülltrennung ohne kriminelle Machenschaften, insbesondere beim Bau neuer Anlagen
(7) Hohe Preise auf Plastikflaschen, z. B. € 10,– pro Flasche
(8) Obst nicht verfaulen lassen, nur damit man EU-Förderungen erhält.
(9) Förderung regionaler Märkte mit nachhaltigen Nahrungsmitteln
(10) Einstellen der Zinszahlungen, da die Primärsalden der italienischen Budgets in den letzten Jahren immer noch einen Überschuss verzeichneten. Z. B. war 2009 der Primärsaldo des Budgets – d. h. ohne Zinszahlungen – mit 16 Milliarden € positiv. Das Budgetdefizit aber betrug ungefähr 60 Milliarden €, da auf die Zinszahlungen ungefähr 75 Milliarden € entfielen.
(11) Austritt aus der EU und Volksabstimmung darüber
(12) Austritt aus dem Euro und Volksabstimmung darüber
(13) Verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Keine Prekariate für die akademische Jugend!
(14) Verzicht auf Atomenergie und Förderung dezentral erzeugter Energie.
(15) Trinkwasserwerke dürfen nur in öffentlicher Hand sein. Rückabwicklung von Privatisierungen von Wasserwerken.
(16) Verzicht auf die Errichtung von Hochgeschwindigkeitsbahnen. Mögliche Einsparung ungefähr 20 Milliarden €!
(17) Verbot von Beton-Bauten und Maßnahmen gegen eine weitere Versiegelung des italienischen Bodens. Verstärkte Renaturierung bereits devastierter Umwelt.
(18) Verbot von Belegschaftsaktien, Begrenzung der Höchstgehälter bei den Vorständen.
b. Banken
(1) „Solange das Geld in den Händen weniger konzentriert bleibt und die Banken ihre derzeitige Machtfülle behalten, bleibt die Demokratie eine theoretische Übung, eine Kari-
katur ihrer selbst.“
(2) Private dürfen Kredite mit variablen Zinssätzen über das Internet versteigern.
(3) Die Banken dürfen – wie es islamische Banken auch tun- nur der Realwirtschaft dienen. Entwicklungsverbot und Verbot des Kaufes bzw. Verkaufes von Derivaten denen kein Geschäft aus der Realwirtschaft zugrunde liegt.
c. Gesundheitswesen
(1) Zusätzliche glaubwürdige Informationen über das Netz anbieten.
(2) Das Netz kann auch helfen, den Lebensstil zu ändern und das Gesundheitsbewusstsein zu verbessern.
(3) Auffinden neuer Behandlungsmethoden im Netz.
(4) Verzicht auf teure und vielfach auch unnütze Diagnosemethoden: CRTs und MRTs.
(5) Personen, die allerdings nicht schwerkrank sind, erhalten einen bestimmten Geldbetrag, den sie für ihre Behandlung ausgeben dürfen. Die eigene Disposition über den zur Verfügung gestellten Betrag führt fast immer zu einer nachhaltigen Reduktion der Behandlungskosten, weil dann die Patienten mit dem Geld sorgsamer umgehen.
(6) Fernoperationen über das Internet
d. Bildungswesen
(1) Bibliotheken web 2.0
(2) Keinen Universitätsbesuch mehr, Vorlesungen und Übungen werden über das Netz abgewickelt.
(3) Crowdsourcing (Expertensuche) über das Netz.
(4) Verstärkter Online-Unterricht in den Schulen
e. Medien
(1) Abschaffung der nationalen Fernsehkanäle und Versteigerung der Frequenzen.
f. Parlamente
(1) Verringerung der Zahl der Parlamentarier in den Regional-Parlamenten und im nationalen Parlament.
(2) Reduktion der Bezüge
(3) Pensionskürzungen der Parlamentarier. Deckelung der Pensionen mit € 4.000 brutto monatlich.
g. Internet
(1) Benutzerfreundlichkeit und Glaubwürdigkeit im Internet sind oberste Gebote.
(2) Kandidatenauswahl (Vorwahl) und Abstimmungen werden nur über das Netz abgewickelt. Alles kann Online zur Abstimmung gebracht werden.
(3) Die kollektive Intelligenz (Schwarmintelligenz) im Netz nutzen, beispielsweise eine italienische „Wikipedia“ über die Probleme des Landes mit Lösungsvorschlägen erstellen.
(4) Das Internet kann eine Welt ohne vermittelnde Instanzen schaffen, beispielsweise bei der Kreditvergabe
(5) Interaktiver Wahlkampf. Jeder mit einer Webcam kann dabei sein!
Empfehlenswerte Literatur:
Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo: 5-Sterne – über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas, J.G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart, 2013.
Bastian Brandau, Fünf Sterne gegen Berlusconi. Das Movimento 5 Stelle und sein Weg in die italienische Politik, ibiden Verlag, Stuttgart, 2013.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar